In seinem November-Newsletter informiert der Mediziner Michael M. Kochen ausschlieĂlich ĂŒber Covid-19.
Der deutsche Mediziner Prof. Dr. med. Michael M. Kochen prĂ€sentiert in seinem Newsletter MMK-Benefits regelmĂ€Ăig hausĂ€rztlich relevante Studienergebnisse. Prof. Kochen. hat sein Newsletter dem Institut fĂŒr Allgemeinmedizin und Sonderausbildung zu VerfĂŒgung gestellt.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, angesichts der besorgniserregenden Entwicklungen des Infektionsgeschehens geht es heute nur um Corona. FĂŒr die Bedrohlichkeit gibt es â abgesehen von der vierten Welle, vor allem in europĂ€ischen LĂ€ndern – viele Parameter, die ich nicht alle aufzĂ€hlen will.
- Man könnte z.B. auf die Zahl der verfĂŒgbaren Intensivbetten schauen, die heute im Vergleich zum Jahresanfang um n=4.000 geringer ist â sie mussten abgebaut werden, weil das Personal dafĂŒr fehlt.
- Oder sehen Sie sich einmal die Zahl der weltweit an Corona Verstorbenen an. Sie betrĂ€gt zwar offiziell knapp ĂŒber 5 Millionen, aber es gibt wissenschaftlich gute GrĂŒnde, die reale Zahl bei rund 17 Millionen anzusetzen. Lesen Sie dazu eine Analyse der renommierten britischen Zeitschrift âThe Economistâ unter https://t1p.de/yqpg.Â
Nicht nur in den tÀglichen Nachrichtenmeldungen, auch in den vielen Mitteilungen, die mich erreichen, wird nach dem Schutzeffekt einer vollstÀndigen Grundimmunisierung und dem Nutzen von Booster-Impfungen gefragt.
Das Robert-Koch-Institut (RKI), das ĂŒbrigens frĂŒhzeitig vor der Entwicklung in den kĂ€lteren Monaten gewarnt hat, schĂ€tzt die aktuelle Gefahrenlage fĂŒr Ungeimpfte als sehr hoch und fĂŒr Geimpfte als moderat, aber ansteigend ein.
Es ist allerdings keine wirklich neue Erkenntnis, dass die Wirkung einer zweifachen Impfung, besonders bei alten Menschen nach Ablauf von 4-6 Monaten, oft auch schon frĂŒher, nachlĂ€sst. Dazu gibt es zahlreiche Studien, eine der besten kommt (wie hĂ€ufig in dieser Pandemie) aus Israel.
Das Land hat â zusammen mit dem UK â sehr frĂŒhzeitig mit den Impfungen der Bevölkerung begonnen und gesehen, dass die im Januar 2021 vollstĂ€ndig Geimpften spĂ€testens Ende Juni ansteigende Zahlen von Infektionen und schweren KrankheitsverlĂ€ufen aufwiesen, wie die nachfolgende Abbildung zeigt:

Die EffektivitÀt der Corona-Schutzimpfung wird vom RKI weiterhin als sehr hoch bewertet.
-  Der Schutz vor Hospitalisierung betrÀgt bei 18- bis 59-JÀhrigen ca. 89 % und in der Altersgruppe ab 60 ca. 85 %.
- Der Schutz vor einem sehr schweren Verlauf (definiert als TherapiebedĂŒrftigkeit auf einer Intensivstation ICU), liegt in der Gruppe der 18- bis 59-JĂ€hrigen bei 94 % und ab dem Alter von 60 Jahren bei etwa 90%.
-  Der Schutz vor Tod liegt bei 18- bis 59-JĂ€hrigen bei rund 92 %, bei ĂŒber 60-JĂ€hrigen bei 86 %.
Diese Zahlen bedeuten selbstredend nicht, dass von hundert geimpften Personen in der Bevölkerung z.B. 94% geschĂŒtzt sind. Die EffektivitĂ€tsangaben beruhen vielmehr auf der vergleichenden Berechnung der Outcomes zwischen vollstĂ€ndig geimpften und ungeimpften Personen.
Wir wissen auch seit den ersten Zulassungsstudien, dass Impfungen nicht in erster Linie Infektionen, sondern schwere VerlĂ€ufe verhindern sollen â und das tun sie in sehr hohem MaĂe.
DurchbrĂŒche (Infektionen trotz vollstĂ€ndiger Impfung) und viele andere interessierenden Zahlen teilt das RKI am Donnerstag jeder Woche mit https://t1p.de/dn0c.
Wenn man sich den letzten Wochenbericht vom 4. November ansieht, steht im hinteren Teil eine detaillierte Tabelle, die ich Ihnen nachfolgend mit einigen farbigen Markierungen zeige. Dargestellt sind in den Altersgruppen 12-17, 18-59 und >60
à die kumulierten Zahlen (und ProzentsÀtze) seit der ersten Februarwoche 2021
Ă und direkt daneben die Zahlen der letzten vier Kalenderwochen (KW 40-43) â fĂŒr symptomatische Infektionen, Hospitalisierungen, Intensivtherapie und Tod.
Ă  Man sieht auf einen Blick den stĂ€rksten Risikofaktor fĂŒr einen schweren Verlauf – das Alter: Je jĂŒnger die Betroffenen, desto niedriger sind die Absolutzahlen und ProzentsĂ€tze.

Trotz der unerfreulichen Zahlen der DurchbrĂŒche lĂ€sst sich aus der Tabelle ablesen, dass – ĂŒber die Wochen 5 – 43 gesehen –Impfungen unverĂ€ndert gut schĂŒtzen (bei der isolierten Betrachtung der letzten vier Wochen zeigen sich Hinweise auf das oben erwĂ€hnte Nachlassen der Schutzwirkung).
FĂŒr die indirekte BestĂ€tigung des Impfschutzes kann man sich als Beispiel die Inzidenzahlen aus Baden-WĂŒrttemberg ansehen:
Die aktuelle 7-Tage-Inzidenz in Baden-WĂŒrttemberg betrug am 4.11.2021:
- im Landes-Durchschnitt: 193,1
-  fĂŒr vollstĂ€ndig Geimpfte: 50,7
- fĂŒr Ungeimpfte, nicht vollstĂ€ndig Geimpfte und FĂ€lle ohne Angaben zum Impfstatus: 458,2 (also 9x höher)
Die Schutzwirkung einer vollstĂ€ndigen Grundimmunisierung hĂ€ngt auch von der benutzten Vakzine ab. Das kann man aus der RKI-Tabelle zwar nicht direkt ersehen, aber errechnen, wenn man die Zahl der verabreichten Impfungen aus einer anderen Quelle (z.B. den wöchentlich aktualisierten KBV-Daten https://t1p.de/e099 oder dem Portal âCorona in Zahlenâ https://www.corona-in-zahlen.de/) hinzufĂŒgt.
Die folgende, von mir erstellte tabellarische Berechnung zeigt, dass die mit Abstand meisten Durchbruchsinfektionen bei Personen erfolgten, die den Impfstoff von Janssen/Johnson & Johnson erhalten hatten (aufgrund des âunnötigenâ Zweittermins auch âUrlaubs-Shotâ genannt). Genau aus diesem Grunde empfiehlt auch die StĂ€ndige Impfkommission (STIKO) einen Booster bei den J&J-Geimpften bereits ab vier Wochen Abstand zur ersten/einzigen Dosis.
[Geringe VerĂ€nderungen könnten sich in der Tabelle ergeben, wenn man zusĂ€tzliche Aspekte wie z.B. den Zeitpunkt der MarkteinfĂŒhrung einer Vakzine berĂŒcksichtigt).In der Tabelle kann man ĂŒbrigens auch erkennen, dass zwei Impfungen mit AstraZeneca â wegen des fast immer eingehaltenen, zwölfwöchigen Abstands zwischen den Dosen â nach Moderna am zweitbesten abschneiden.

SpÀtestens seit Ende August (!) wissen wir auch, dass die Schutzwirkungeiner vollstÀndigen Grundimmunisierung durch eine Boosterimpfung ganz erheblich verstÀrkt werden kann.
Das haben u.a. zwei groĂe israelische Studien gezeigt, die ich Ihnen in aller KĂŒrze vorstellen will.
Die erste Studie aus Israel
Die eine Studie (âProtection of BNT162b2 Vaccine Booster against Covid-19 in Israelâ) wurde am 15. September 2021 im New England Journal of Medicine veröffentlicht https://t1p.de/shst. Das Preprint erschien am 31.8.2021, die dort enthaltenen Informationen waren bereits im Juli bekannt.
Die Autoren haben die Daten von nicht weniger als 1.137.804 Personen > 60 Jahren ausgewertet, die fĂŒnf Monate vorherdie zweite Biontech/Pfizer- (BNT) Dosis ihrer Grundimmunisierung erhalten hatten. Eine HĂ€lfte mit Booster (BNT) wurde mindestens 12 Tage spĂ€ter mit der anderen ohne Booster verglichen.
Die Personen in der Booster-Gruppe erlitten um den Faktor 19.5 seltener schwere VerlÀufe als diejenigen in der ungeboosterten Vergleichsgruppe.
Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, betrug dieser Faktor bei den >80-JÀhrigen 15.2., bei den 70-79-JÀhrigen 24.9 und bei den 60-JÀhrigen 17.7.

Die zweite Studie aus Israel
Die zweite Studie (âEffectiveness of a third dose of the BNT162b2 mRNA COVID-19 vaccine for preventing severe outcomes in Israelâ) wurde am 29. Oktober im Lancet veröffentlicht https://t1p.de/o44y. Â
Die Autoren haben die Daten von 1.158.269 Personen ausgewertet, (Mitglieder der gröĂten Krankenkasse des Landes, Clalit, die rund die HĂ€lfte der Bevölkerung versorgt). 728.321 Menschen mit vollstĂ€ndiger Grundimmunisierung (BNT) vor mindestens fĂŒnf Monaten mit Booster wurden im Mittel 13 Tage spĂ€ter mit einer gleich groĂen Gruppe ohne Booster verglichen.
Die Wirksamkeit bei der Verhinderung eines schweren Verlaufs betrug 93% (Hospitalisierung), 92% (ICU-Versorgung) und 81% (Tod) â bei Frauen wie MĂ€nnern und ohne Unterschied bei den Altersgruppen 40-69 und >70.
[NB: EinschrÀnkend muss man zu diesen Daten sagen, dass das mittlere Alter in der Boostergruppe nur 52 Jahre betrug und Gesundheitsarbeiter/innen sowie Bewohnerinnen von Altenheimen ebenso ausgeschlossen wurden wie alte/vorerkrankte Patienten, die ihre eigene Wohnung nicht mehr verlassen konnten].Quintessenz:
- Eine vollstĂ€ndige Grundimmunisierung mit den in der EU verfĂŒgbaren Impfstoffen schĂŒtzt in erheblichem AusmaĂ vor Hospitalisierung (85-89%), ICU-Therapie (90-94%) und Tod (86-92%). Eine gewisse Ausnahme ist hier die Vakzine von Johnson & Johnson.
- Der Schutz ist â ausweislich der steigenden Zahl an Durchbruchsinfektionen â zwar nicht so vollstĂ€ndig, wie wir alle uns das erhofft haben. Die âUnwirksamkeitâ einer zweifachen Impfung oder eine âPandemie der Geimpftenâ ist jedoch eine MĂ€r, die von interessierter Seite propagandistisch ausgeschlachtet wird.
- Auch vollstĂ€ndige Geimpfte sollten zum Schutz ihrer eigenen Person und zum Schutz anderer nicht auf AHA+L+A-MaĂnahmen verzichten. Auch, wenn alle Personen vollstĂ€ndig geimpft oder genesen sind: Wer sich lĂ€ngere Zeit ohne Maske und Abstand in oft unzureichend gelĂŒfteten InnenrĂ€umen aufhĂ€lt, riskiert eine Durchbruchsinfektion. Diese kann (allerdings sehr viel seltener als bei Ungeimpften), besonders in höherem Alter auch zu schweren VerlĂ€ufen fĂŒhren.
- Die genannten VorsichtsmaĂnahmen gelten auch fĂŒr Ă€rztliche Fortbildungs-PrĂ€senzveranstaltungen (mit 2-G-Regel, aber ohne Maske und Abstand). Zu diesem Aspekt habe ich ein Editorial geschrieben, das am 15.11. in der ZFA erscheint (Anhang).Â
- Eine Booster-Impfung mit einem der beiden m-RNA-Vakzinen BNT oder Moderna fĂŒhrt â 5-6 Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung – zu einer weiteren massiven Reduktion des Risikos schwerer VerlĂ€ufe.
Die STIKO empfiehlt diese Boosterung (neben medizinischem und Pflegepersonal sowie ImmungeschwĂ€chten) z.Zt. nur Personen ab 70 Jahren â in Altenheimen ohne Altersbegrenzung https://t1p.de/vl78 (ab Seite 10). Eine solche Priorisierung hat den Sinn, dass zuerst die besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen erreicht werden. Sie dĂŒrfte in absehbarer Zeit aber auf alle Altersgruppen ausgedehnt werden.
âIhnen fehlen noch fĂŒnf Monate bis Sie 70 sindâ â mit diesen oder Ă€hnlichen Bemerkungen werden hoffentlich keine Patient/innen unverrichteter Dinge wieder nachhause geschickt werden. Nach meiner EinschĂ€tzung werden HausĂ€rztinnen und HausĂ€rzte im Praxisalltag mit angemessenem Pragmatismus handeln und keiner starren BĂŒrokratie folgen.
Bitte erlauben Sie mir noch einige Anmerkungen, die mir fĂŒr die Diskussion der momentanen Lage wichtig erscheinen:
Die Belastung von Hausarztpraxen mit Boosterimpfungen:
- WĂ€hrend (wie der Journalist Markus Grill richtig anmerkt) im FrĂŒhsommer noch 75.000 hausĂ€rztliche und spezialistische Praxen Corona-Impfungen durchgefĂŒhrt haben, sind es derzeit nur noch 30.000. Daher kann die Impfgeschwindigkeit nicht die gleiche wie vor einem halben Jahr sein. Es besteht damit die Gefahr, dass Booster-Impfungen alleine in den Praxen nicht in der notwendigen Zeitspanne verabreicht werden können (âbis zum Jahresendeâ ist m.E. definitiv zu spĂ€t!).
- Die organisatorische DurchfĂŒhrung der Impfungen wird auch noch erheblich durch die amtlich vorgegebene,zweiwöchige Vorbestellung von Impfstoffen behindert â sie wird allerdings in KĂŒrze abgeschafft.
- Der BNT-Impfstoff ist immer noch nicht in einzelnen Fertigspritzen verfĂŒgbar. Siehe dazu https://t1p.de/j97m.Â
- FĂŒr den ganzen Aufwand inkl. zeitraubender Organisation, AufklĂ€rung und Aufziehen der Vakzine erhalten die HausĂ€rzt/innen 20 Euro â eine lachhaft niedrige Bezahlung.
- Besser als die kostenintensive Wiedereröffnung aller Impfzentren könnte folgender Vorschlag sein: Alle Gemeinden informieren ihre Einwohner ĂŒber die anstehende Boosterung und organisieren diese Impfungen wie auch die Grundimmunisierung am Wochenende in bzw. vor den RathĂ€usern – ohne Anmeldung. Die medizinische Leitung und DurchfĂŒhrung dieser MaĂnahme erfolgen durch die (Haus)Ărzteschaft vor Ort. Mobile Impfteams und andere pragmatische Vorgehensweisen mĂŒssen wahrscheinlich hinzukommen.
Ein Ende der Pandemie:
ist nur denkbar, wenn (analog anderer, noch ansteckenderer Infektionskrankheiten wie Masern oder Windpocken) rund 90% der Bevölkerung ab 12 Jahren vollstÀndig geimpft und geboostert sind.
FĂŒr die Impfung von Kindern im Alter von 5-11 Jahren steht zwar eine Zulassung unmittelbar bevor; fĂŒr eine informierte Entscheidung fehlen m.E. aber noch Daten, die ĂŒber die begrenzten GruppengröĂen der Zulassungsstudien hinausgehen, siehe auch https://t1p.de/tj2j. Â
Politische MaĂnahmen:
Dass einige Politiker/innen auf Landes- und Bundesebene immer noch eine groteske Uneinigkeit (um nicht von UnfĂ€higkeit zu sprechen) pflegen und offenbar nicht in der Lage sind, frĂŒhzeitig Entwicklungen (auch in anderen LĂ€ndern) zu beherzigen, stellt eine Fortsetzung der Situation vom Winter 2020/2021 dar. âDas konnte ja keiner ahnenâ ist in diesem Zusammenhang einer der eigentĂŒmlichsten AussprĂŒcheâŠÂ
Diese Art von defizitĂ€rem politischem Management fĂŒhrt (zusammen mit der immer noch weitgehend fehlenden AufklĂ€rung besonders Ă€rmerer Personen und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte) zu einer massiven und kontraproduktiven Verunsicherung der Bevölkerung.
Die SĂŒddeutsche Zeitung schrieb dazu in der aktuellen Wochenendausgabe einen umfangreichen Artikel mit der Ăberschrift: âHaben wir nichts gelernt?â https://t1p.de/j45b.  (Bezahlschranke).
Zu den politischen VersĂ€umnissen zĂ€hlen auch die Angst vor der Verordnung einer Impfpflicht fĂŒr den medizinischen/pflegerischen Bereich, die z.B. vom Vorsitzenden des DHĂV, Uli Weigeldt, aber auch von 74% der Bevölkerung befĂŒrwortet wird. Die befĂŒrchtete Abwanderung von ungeimpftem Pflegepersonal hat sich z.B. in Frankreich oder Spanien nicht bewahrheitet. (âEine Impfpflicht haben sie ebenso ausgeschlossen wie erneute EinschrĂ€nkungen fĂŒr Geimpfte. Nun bleibt die Wahl zwischen weiter steigenden Todeszahlen und Wortbruch.â Christian Drosten am 5.11. ĂŒber Twitter).
Eine weitere kritische Unterlassung auf politischer Ebene sind m.E. die weitgehend unzureichenden Einlasskontrollen, die dazu fĂŒhren, dass auch andere vernĂŒnftige Regeln immer seltener eingehalten werden.
(âDem Klischee nach ist in Italien ja alles lockerer. FĂŒr Corona-Regeln gilt das offenbar nicht. Ich war 2 Wochen in Sizilien und in absolut jedem Restaurant wurde der Impfpass eingescannt (!). In Berlin hingegen höre ich oft: âLassen Sie stecken, ich glaubÂŽ Ihnen, dass Sie geimpft sind.â Der Journalist Markus Grill auf Twitter)
NB: Ein besonders auffĂ€lliges Beispiel fĂŒr eine unverstĂ€ndliche politische Entscheidung hat gerade das Gesundheits- und Sozialministerium von Baden-WĂŒrttemberg gegeben. Es verkĂŒndete am 5. November, dass ab sofort positiv auf das Coronavirus getestete Personen (und deren enge Kontaktpersonen) nicht mehr routinemĂ€Ăig von den GesundheitsĂ€mtern kontaktiert werden â mit Ausnahme der Altenheime.
https://t1p.de/7e1d (Danke an Wolfgang v. MeiĂner fĂŒr den Hinweis).
- Die GesundheitsĂ€mter sind ĂŒberlastet â kein Zweifel. Dennoch darf man mit Fug und Recht fragen, ob diese MaĂnahme angemessen ist. Sie vermittelt der breiten Bevölkerung die falsche Botschaft, die Pandemie sei auĂerhalb von Alten-/Pflegeheimen eigentlich vorbei. Nur nebenbei sei bemerkt, dass in den Gemeinden viermal so viele alte Menschen leben wie in Pflegeheimen.
- Es wird in diesem Zusammenhang immer wieder darauf verwiesen, dass die Corona WarnApp auf einem Smartphone, wenn sie nur hĂ€ufiger benutzt wĂŒrde, die mĂŒndliche Information ersetzen könnte. Ich frage dann zurĂŒck, wie viele der 18,27 Millionen Menschen > 65 Jahren in Deutschland die Bedienung eines Smartphones angemessen beherrschenâŠ
Arzneimittel gegen eine Covid-19-Erkrankung rĂŒcken nĂ€her
Mehr als diese reichlich unbestimmte Aussage lĂ€sst sich momentan fĂŒr Medikamente, die Hochrisikopatienten in einem frĂŒhen Stadium der Covid-19-Erkrankung helfen sollen, nicht treffen. Viel klarer ist da schon das Rezept, das diverse Hersteller in ihrer Vermarkungsstrategie, bei der es um Milliarden Euros geht, zusammengebraut haben. GemÀà dem jedem Hobbykoch bekannten Spruch âman nehmeâŠâ geht das so:
- Man entwickelt ein Arzneimittel (oft aus bereits bekannten Wirkstoffen â sog. repurposed drugs), das virustatische und/oder immunmodulatorische Effekte zeigt und beginnt eine randomisierte klinische Studie.
- Die Untersuchung wird so konzipiert, dass bei Erreichen bestimmter Endpunkte die Studie durch ein â selbstverstĂ€ndlich völlig unabhĂ€ngiges Gremium – vorzeitig abgebrochen wird.
- Bevor man die Daten zumindest in einem fĂŒr alle nachles- und kritisierbaren Preprint (noch nicht begutachtet) veröffentlicht, reicht man sie den zustĂ€ndigen Zulassungsbehörden ein. Böse Zungen behaupten – natĂŒrlich wahrheitswidrig â dass in diesen Behörden einige Personen arbeiten, die an der Vermarkung nicht uninteressiert sind. Das ist natĂŒrlich etwas ganz anderes als ein handfester InteressenskonfliktâŠ
Diese Strategie lĂ€sst sich â grosso modo â z.Zt. fĂŒr zwei Arzneimittel erkennen, die âin aller Mundeâ sind:Â
Molnupiravir
Das orale Virustatikum Molnupiravir, dem eine Verminderung schwerer VerlĂ€ufe um rund 50% nachgesagt wird, wurde am 4.11.2021 im UK zugelassen und soll 700 USD pro 10-tĂ€giger Behandlung kosten. Nach Angaben der US-Pharmaunternehmen Merck, Sharp & Dohme und Ridgeback Biotherapeutics, wird die Substanz als âfehlerhaftesâ Ribonukleosid-Analogon in das Erbgut von neu entstehenden Coronaviren eingebaut und hemmt ĂŒber diesen Weg den Befall weiterer Zellen.
Die Zitate âHistoric day for this country – game changer – groundbreaking treatmentâ könnten vom Hersteller MSD stammen, sie kamen aber aus dem Munde des britischen Gesundheitsministers Sajid Javid. Bis auf die Tatsache, dass er ein treuer Diener seines Herren, des politisch wild umherfuchtelnden Premiers Boris Johnson ist, ganz bestimmt ein absolut neutraler Mann. EhrlichâŠ
Paxlovit
Die Kombination aus zwei Proteasehemmern (PF-07321332 und â aus der HIV-Therapie bekannt – Ritonavir) des HerstellersPfizer; vorgesehener Handelsname des in Tablettenform verfĂŒgbaren Medikamentes:Â Paxlovit.
Obwohl auch hier die RCT-Daten noch nicht begutachtet vorliegen, wurde die AnkĂŒndigung einer Zulassung bei der FDA genau zu dem Zeitpunkt verlautbart, als sich bestimmte Medien in der Lobpreisung von Molnupiravir ĂŒberschlugen. Diese Entwicklung galt es zu stoppen â aus der Sicht des Unternehmens eine folgerichtige EinschĂ€tzung.
Auch die monetÀren Folgen blieben nicht aus, was die nachfolgende Grafik (Bloomberg) aus dem vorbörslichen Handel mit Pfizer-Aktien verdeutlicht

Zu diesem Proteasehemmer, dem gar eine Wirksamkeit bei der Verhinderung schwerer VerlÀufe von >90% nachgesagt wird, gibt es wenigstens eine Publikation, die vor wenigen Tagen in Science erschien (An oral SARS-CoV-2 Mpro inhibitor clinical candidate for the treatment of COVID-19  https://t1p.de/ihby. Nein, es handelt sich dabei nicht um die Zahlen aus dem (noch nicht beendeten) RCT, sondern um weitgehend prÀklinische Daten.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich wĂŒrde mich natĂŒrlich unbĂ€ndig freuen, wenn wir ein sehr wirksames und sicheres, oral oder als Spray applizierbares Arzneimittel fĂŒr den ambulanten Bereich zur VerfĂŒgung hĂ€tten. Allein mir fehlt solange der Glaube, bis ich eine begutachtete Publikation gelesen habe.
SpĂ€testens an dieser Stelle sollte man an wirksame und bereits lange (fĂŒr andere Indikationen) zugelassene Arzneimittel wie Budesonid und Fluvoxamin erinnern – bei Covid-19-Kranken off-label zu verordnen. Aktuelle Quellen fĂŒr die entsprechenden Studien:
Budesonid (âInhaled budesonide for COVID-19 in people at high risk of complications in the community in the UK (PRINCIPLE): a randomised, controlled, open-label, adaptive platform trialâ) â Lancet 10.8.2021 https://t1p.de/kebr. Kosten fĂŒr 100 SprĂŒhstöĂe Ă 400mcg 48 ⏠(reicht bei einer 14-Tagestherapie mit 2x800mcg/d fĂŒr mehr als zwei Patienten)
Fluvoxamin (âEffect of early treatment with fluvoxamine on risk of emergency care and hospitalisation among patients with COVID-19: the TOGETHER randomised, platform clinical trialâ) â Lancet Global Health, 27.10.2021https://t1p.de/dn50i. Kosten fĂŒr 100 Tabletten Fluvoxamin 100mg: 25,64 ⏠(reicht bei einer 10-Tagestherapie mit 2x100mg/d fĂŒr fĂŒnf Patienten!).
Mein âCoronastapelâ ist noch lange nicht abgearbeitet, aber fĂŒr heute mache ich einfach mal ⊠Schluss.
Herzliche GrĂŒĂe
Michael M. Kochen
Prof. Dr. med. Michael M. Kochen, MPH, FRCGP
Emeritus, UniversitÀtsmedizin Göttingen
Institut fĂŒr Allgemeinmedizin, UniversitĂ€tsklinikum Freiburg
AG Infektiologie und Leitliniengruppe Neues Coronavirus, Deutsche Gesellschaft fĂŒr Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Ordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ărzteschaft
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